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Gedenkkerze
Peter Keilhauer
Trauer um Helmut Schmidt
18.12.2015 um 15:57 Uhr von TrauerDer Mann für die Krisen
18.12.2015 um 15:47 Uhr von TrauerAcht Jahre lang, von 1974 bis 1982, war Helmut Schmidt Bundeskanzler. Er war Regierungschef in einer wirtschaftlich und auch politisch schwierigen Zeit. Der SPD-Politiker, der sich am Ende seiner aktiven Laufbahn von seiner Partei entfremdet hatte, war im Alter ein gefragter Berater und Gesprächspartner. Mit 96 Jahren ist der fünfte Kanzler der Bundesrepublik gestorben. Ein Nachruf.
Von Ralf Joas
Zuletzt wirkte der Kontrast fast grotesk. Hier die an Verehrung grenzende Zustimmung, die dem Altbundeskanzler Helmut Schmidt seit vielen Jahren über Parteigrenzen hinweg entgegengebracht wurde. Dort die heftigen, zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen auch in und mit der eigenen Partei, die Schmidt in seiner achtjährigen Kanzlerschaft austragen musste. Sein wirtschaftlicher Sachverstand unterschied den am 23. Dezember 1918 in Hamburg-Barmbek geborenen Diplom-Volkswirt Helmut Schmidt von den meisten seiner Vorgänger und Nachfolger im Kanzleramt. Schon früh warnte er vor den schlimmen Folgen des „Raubtierkapitalismus“. Und so wurde Schmidt insbesondere in der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise zur Anlaufstelle und Autorität für viele, die Rat und Orientierung suchten und beides offenbar beim aktuellen politischen Personal nicht fanden.
Damit wurde Helmut Schmidt auch im hohen Alter seinem Ruf als „Mann für Krisen“ gerecht. Die erste dieser Krisen war die Hamburger Flutkatastrophe 1962. Sie machte den damaligen Innensenator der Hansestadt, der ohne Rücksicht auf Zuständigkeiten als zupackender Krisenmanager auftrat, mit einem Schlag bundesweit bekannt.
Das Bewältigen von Krisen wurde auch zum Markenzeichen von Schmidts Kanzlerschaft. Schon dass er, der in der sozialliberalen Koalition erst Verteidigungs-, dann Finanzminister war, 1974 überhaupt Regierungschef wurde, war Folge einer schweren politischen Krise: Sein Vorgänger Willy Brandt war wegen der Affäre um den von der DDR ins Kanzleramt geschleusten Spion Günter Guillaume zurückgetreten. Kaum im Amt, sah sich Schmidt der bis dahin größten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik gegenüber. Und drei Jahre später, im „Deutschen Herbst“ 1977, musste er erfahren, wie einsam Macht machen kann. Die Entscheidung, den Forderungen der Entführer von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine „Landshut“ nicht nachzugeben, traf Schmidt in dem Bewusstsein, dass dies unausweichlich die Ermordung Schleyers durch seine RAF-Entführer zur Folge haben würde. Schmidt hielt in dieser geradezu tragischen Situation stand: den Erpressungsversuchen der Entführer ebenso wie den Forderungen jener, die im Kampf gegen den Terrorismus die Grenzen des Rechtsstaats gefährlich ausdehnen, gar niederreißen wollten.
Auch das Ende der Kanzlerschaft Schmidts war von Krisen geprägt: Die deutsche Wirtschaft war erneut schwer angeschlagen, der Koalitionspartner FDP suchte den Ausstieg aus dem Bündnis mit Schmidts SPD. Zugleich gingen große Teile seiner eigenen Partei auf Distanz wegen des von Schmidt initiierten Nato-Doppelbeschlusses, der eine Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Deutschland vorsah. Als Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982 als Regierungschef von Helmut Kohl abgelöst wurde, war er – politisch gesehen – ein ziemlich einsamer Mann, der auch in der SPD, der er seit 1946 angehörte, nur noch wenige Weggefährten hatte.
Auf den ersten Blick wirkt die Kanzlerschaft Helmut Schmidts lediglich wie ein Intermezzo zwischen der durch Ostpolitik und gesellschaftlichen Aufbruch geprägten Amtszeit seines Vorgängers Willy Brandt und der von der Wiedervereinigung gekrönten Ära seines Nachfolgers Helmut Kohl. Dabei wird leicht übersehen, dass Schmidt schon in den 70er Jahren die wachsende weltweite Verflechtung der Wirtschaft wahrnahm und daraus politische Konsequenzen zog. Mit seinem Namen bleiben die seinerzeit eingerichteten Weltwirtschaftsgipfel ebenso verbunden wie das Europäische Währungssystem als Vorläufer der Gemeinschaftswährung Euro. Vor allem sein Zusammenspiel mit Frankreichs Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing, mit dem ihn eine persönliche Freundschaft verband, erwies sich für Europa als anregend und fruchtbringend. Schmidt war auch einer der Ersten, der sich schon zu Zeiten des Ost-West-Konflikts intensiv mit China beschäftigte. Eine seiner letzten Reisen führte ihn noch im Jahr 2012 ins Reich der Mitte, dessen Aufstieg zur politischen und wirtschaftlichen Weltmacht er früh voraussah.
Ganz von der Politik lassen wollte und konnte Schmidt auch nach dem Abschied aus dem Kanzleramt nicht. Zunächst noch im Bundestag, mehr und mehr aber als Autor unzähliger Artikel und zahlreicher Bücher blieb er präsent. Der brillante, mitunter schneidend vortragende Redner Helmut Schmidt wandelte sich zunehmend zum Schreiber. Seine Rolle als Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ bot ihm dafür ein ideales Forum. Schmidt habe es „meisterhaft“ verstanden, „die Mittel der Publizistik zu nutzen, um seinen Ansichten und Einsichten Gehör zu verschaffen“, attestierte ihm „Zeit“-Kollege Theo Sommer. Dabei ging der Medien-Mann Schmidt mit diesen Medien gerne auch hart ins Gericht. Sie seien mit schuld am schlechten Image des Parlamentarismus, wetterte Schmidt im Juni 2013 im Ludwigshafener Feierabendhaus, wohin er aus Anlass der Verabschiedung des Mit-Hanseaten Eggert Voscherau als Präsident der Chemie-Arbeitgeber gekommen war.
In seinen Büchern widmete Schmidt sich zuletzt verstärkt der Frage, auf welchen philosophischen, moralischen Grundlagen politisches Handeln beruhen und Gesellschaften basieren sollten. Die Philosophen Immanuel Kant und Karl Popper, der Soziologe Max Weber, der römische „Philosophenkaiser“ Marc Aurel – das waren die „Meisterdenker“ eines Mannes, der in seinem letzten, in diesem Jahr erschienenen Buch „Was ich noch sagen wollte“ seiner Überzeugung Ausdruck gab, „dass wir Vorbilder brauchen“. Für sich selbst lehnte er es allerdings stets ab, (politische) Vorbildfunktion zu übernehmen. Ihm behage das „Klischee“ vom Vorzeigedeutschen nicht, offenbarte Schmidt nicht ohne Koketterie, denn „wahrscheinlich ist es bloß auf mein hohes Alter und auf meine weißen Haare zurückzuführen“.
In den zahlreichen Interviews, die er auch im hohen Alter noch gab, vermied Schmidt es meistens, sich zu tagespolitischen Fragen zu äußern. Umso erstaunlicher – und heftig umstritten – war seine unverhüllte Parteinahme für den Mit-Hanseaten Peer Steinbrück bei der Frage, wer 2013 als SPD-Kanzlerkandidat antreten sollte. Zumindest vorübergehend bildeten sich daraufhin wieder die alten Fronten in seiner Partei – hier der eher „rechte“ Schmidt, da die ob dessen unerbetener Einmischung verschnupften Parteilinken.
Den Unmut der amtierenden Kanzlerin im Kanzleramt zog Schmidt ein Jahr später auf sich, als er im Ukraine-Konflikt die Politik von Angela Merkel – und des Westens – gegenüber Russland kritisierte. Die gegen Moskau verhängten Sanktionen tat Schmidt in für ihn typischer Manier als „dummes Zeug“ ab. In solchen Momenten lebte noch einmal „Schmidt Schnauze“ auf, der in politischen Auseinandersetzungen hart, ja brutal austeilen konnte. Daneben gab es aber immer auch den anderen, den nachdenklichen, musischen Helmut Schmidt. Das war der Mann mit der Liebe zur klassischen (Klavier-)Musik, zur bildenden Kunst. In seiner Frau Loki – sie starb 2010 – fand Schmidts gelegentlich aufbrausendes Temperament einen ruhenden Gegenpol.
Zeitlebens geprägt wurde Helmut Schmidt durch die Erfahrungen während des Dritten Reiches, als die Deutschen den katastrophal-verbrecherischen „Heilslehren“ der Nazis folgten. Er, der als Wehrmachtsoffizier noch durch die „Scheiße des Krieges“ hatte waten müssen, war entschiedener Gegner jedweder Ideologien. Sein Hang zum Pragmatismus, seine Nähe zur „Verantwortungsethik“ Max Webers, verstellten Schmidt mitunter den Blick auf neue Fragen und Themen und die daraus resultierenden gesellschaftlichen und politischen Strömungen. So waren die Grünen ihm, der in Richtung seines Vorgängers Willy Brandt salopp-unverschämt riet, mit „Visionen“ doch bitte zum Arzt zu gehen, fremd und suspekt. Dass diese friedensbewegte, atomkritische Partei seiner SPD erfolgreich Anhänger und Wähler streitig machte, dass sich Teile der SPD grüne Ideen aneigneten, entfremdete Schmidt Anfang der 80er Jahre seiner Partei. Auch Jahrzehnte später war bei ihm noch tiefes Unverständnis zu spüren, wenn er den Anhängern der damaligen Friedensbewegung bescheinigte, dass „ihr Gewissen irrte“, weil ihnen „Kenntnis und Überblick“ gefehlt hätten. Eine gehörige Portion Arroganz, die da aus dem Sicherheits- und Verteidigungspolitiker Schmidt sprach.
Schwer tat sich Schmidt, der Politik einmal als „Kampfsport“ bezeichnete, auch mit neuen Formen der politischen Willensbildung. Er war ein leidenschaftlicher Parlamentarier, für den der Bundestag die wichtigste Bühne der politischen Auseinandersetzung war; zur Welt der Bürgerinitiativen und „Wutbürger“ fand er keinen Zugang.
Sein betont nüchternes Verständnis von Politik, der Rolle und Aufgabe des Politikers war für Schmidt kein Vorwand für Prinzipien-, gar Skrupellosigkeit. Verantwortungsbewusstsein und Vernunft, gepaart mit „innerer Gelassenheit“ – das waren Tugenden, die er als unabdingbar für Bürger und Politiker im demokratischen, freiheitlichen Rechtsstaat ansah.
Hanseatisch kühl im Auftreten, war Helmut Schmidt gleichwohl zeitlebens ein leidenschaftlicher Politiker. Die Leidenschaft für die Politik, die Freude am politischen Streit ließen ihn auch nicht los, als das Alter ihm sichtlich zusetzte. Ein auch dann noch zu apodiktischen Urteilen neigender Diskutant mit messerscharfem Verstand, ein gelegentlich offensichtlich ungeduldiger Zuhörer, die unvermeidliche Zigarette zwischen den Fingern – so bleibt Helmut Schmidt in Erinnerung. In Erinnerung bleibt auch ein Mann, der über Jahrzehnte eine prägende Rolle in der deutschen Politik spielte. Ein Mann, der dieses Land als Kanzler besonnen durch wirtschaftlich und politisch schwierige, unruhige Zeiten lotste.